Generation Erfahrung – der missachtete Bewerbermarkt?

Generation Erfahrung – der missachtete Bewerbermarkt?

In einer Region, in der Ausbildung einen wichtigen Stellenwert hat und die Ausbildungsquote traditionell hoch ist, beißen sich die Branchen aktuell die Zähne an den Generationen Y und Z aus. Und vor lauter Fokus auf die „mystische Jugend“ und der Suche nach Antworten, ob sie vielleicht doch über TikTok zu erreichen ist, entfällt dann der Blick auf das andere Ende der Arbeitnehmer-Generationenskala.

Tatsächlich aber hätten Ü50-Bewerbende beim aktuellen Renteneintrittsalter viel mehr bis knapp weniger als ein Jahrzehnt Arbeitsleben vor sich, das sie richtig rocken könnten. Hand aufs Herz: Wie viele „Stifte“ sind ihnen in dieser Zeitspanne schon „stiften gegangen“? Die Perspektive, dass Ihnen Beschäftigte, die mit dem PC 64 ihre ersten digitalen Erfahrungen gemacht haben, über viele Jahre hinweg treu bleiben, ist hingegen gar nicht so schlecht – „viel mehr Loyalität und Arbeitsmoral,“ beobachtet Dr. Britta Glißmann, Geschäftsführende Gesellschafterin bei ESE – Executive Search Excellence GmbH, bei erfahreneren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Luxuriös: Lebenserfahrene Jobsuchende außen vorlassen

Und das ist noch lange nicht alles und so drückt die Expertin für das Recruiting von High Potentials den Startknopf: „Fachkräftemangel, ja sogar Arbeitskräftemangel, duzende Engpassberufe, dazu Rekordbeschäftigung und rückläufiges Interesse der Jungen an Ausbildung – das Mittelfeld ist längst leergefegt und das wird sich weiter verschärfen. Es ist also ein echter Luxus, wenn man in seine HR-Strategie lebenserfahrene Arbeitnehmer:innen nicht berücksichtigt.“

Dr. Glißmann fasst zusammen, welches Potential in dieser Bewerbergruppe steckt: „Treue, tiefes Fachwissen, schnelle Einarbeitungszeit, geringe Fluktuation; die Familienphase ist abgeschlossen, jetzt können sie noch einmal durchstarten – die Betonung liegt auf sie, Ü50-Recruiting ist vor allem ein weibliches Thema.“

Die DNA-Versteher

Vorurteilen, wie „unflexibel“, „zu langsam“ oder „zu wenig produktiv“, setzt Glißmann entgegen: „Erfahrene Mitarbeitende bringen Know-how rein, das das Unternehmen sehr weiter bringt. So sind sie beispielsweise in der Kundenkommunikation eher auf Augenhöhe und haben ein Gespür für das Zwischenmenschliche, kommunizieren effektiver – nicht zuletzt, weil sie die DNA einer Firmenphilosophie oder von Marken viel schneller internalisieren können. Als Baustein für Diversität können Arbeitserfahrene als DNA-Multiplikatoren im Unternehmen positioniert werden.“

Sie sind resilienter, denn ihre Erfahrung befähigt sie, Herausforderungen und Schwierigkeiten besser zu meistern. „Arbeitgeber ermöglichen durch Qualifizierungsmaßnahmen und Weiterbildungsangebote, dass Motivation ein fachlich starkes Fundament bekommt … wobei: Das Erlernen neuer Technologien oder Arbeitsmethoden sollte ohnehin ein generationenübergreifendes Thema sein, da stechen die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer:innen gar nicht besonders heraus!“

New Work statt Karriereambitionen

Der Reflex, für die Karriere die Stelle zu wechseln, lässt üblicherweise eher nach. Ein stabiles Arbeitsverhältnis wird bevorzugt, allerdings schließt das das Vorhandensein beruflicher Perspektiven nicht aus: „Ü50-Beschäftigte geben viel, haben aber auch Ansprüche, zum Beispiel in Bezug auf nachvollziehbare Unternehmensziele – man holt sich halt keine ‚ja-Sager‘ ins Haus, sondern Menschen, die Selbstwirksamkeit erfahren wollen. Ist man auf New Work ausgerichtet, wird man so richtig attraktiv für Berufserfahrene.“

Hier weiterlesen: New Work: Heilsbringer für die Arbeit der Zukunft?

Die Karriere-Südwestfalen-Tipps für das Rekrutieren von lebenserfahrenen Beschäftigten:

  1. Berufserfahrene sind keine „digitalen Höhlenbewohner“, Sie erreichen sie mit Online-Stellenbörsen und auf beruflichen Netzwerkplattformen.
  2. Checken Sie Ihre Stellentexte und stellen Sie sicher, dass sie altersneutral sind: Oft entstehen Formulierungen unbewusst, weil jede:r eine gewisse Vorstellung vom idealen Kandidaten hat. Angaben, wie „erste Berufserfahrungen“ schließen Bewerbende mit längeren Berufsbiografien aus. Absicht? Vorsicht, denn hier liegt laut Antidiskriminierungsstelle des Bundes sogar ein Diskriminierungsrisiko vor.* Und sie begrenzen ab dem ersten Schritt auf den Bewerbermarkt ohne Not den Adressatenkreis.
  3. Signalisieren Sie im Bewerbungsprozess vielmehr, dass Sie Bewerbende grundsätzlich gleich wertschätzen, Ältere begegnen Ihnen dabei vor allem mit Berufs- und Lebenserfahrung. Das kann gelegentlich irritieren und erfordert zuweilen eine gewisse Anpassung im Umgang zwischen Arbeitgebern und Bewerbenden. Wenn Sie den Kampf um die Talente Potential-fokussiert angehen, könnte es sein, dass die passendste Kandidatin eine ist, die älter ist als sie selbst.
  4. Flexible Arbeitszeitmodelle, Möglichkeiten zur Weiterbildung und Qualifikation, Gesundheitsangebote und Perspektiven – alles, was zu Ihrer attraktiven Arbeitgebermarke gehören sollte, adressiert natürlich auch Ü50-Bewerbende. Unterstützen Sie sie immer dabei, ihre Fähigkeiten zu verbessern und rufen Sie die Potentiale zum Nutzen Ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ab.

*Quelle: Antidiskriminierungsstelle, Seite 17.


12. April 2023 12.04.23
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